NEXT GENERATION FOOD 2014: 5 Herausforderungen für den Lebensmittelversand in Deutschland
von Franziska Thiele
5 Herausforderungen für den Lebensmittelversand in Deutschland - Warum Spezial- und Gourmet-Angebote bereits bundesweit funktionieren, der tägliche Bedarf zurzeit aber größtenteils regional gedeckt wird.
Der E-Commerce steht regelmäßig im Zentrum gesellschaftlicher Debatten. Das ist ein gutes Zeichen, denn es zeigt: Die Branche bewegt. Deshalb hat der bevh Wissenschaftler, Politiker und Verbände gefragt, wie sie den E-Commerce sehen. Dabei lassen wir selbstverständlich auch diejenigen zu Wort kommen, die nicht unserer Meinung sind und laden alle Leser dazu ein, die Beiträge kritisch zu kommentieren. Der bevh wird zudem auf Grundlage der Beiträge ein Thesenpapier erarbeiten, das nach Abschluss der Reihe die Beiträge aufnimmt. Bis dahin können Sie im September und Oktober jede Woche Dienstag im Rahmen unserer Beitragsreihe „Einkaufen in Zukunft“ lesen, was andere über den E-Commerce denken.
Heute mit Till Overhoff, Teamleiter bei Lieferello
Der deutsche Markt wächst und spezialisiert sich
Der Lebensmittel-Versandhandel ist weltweit in Bewegung, auch in Deutschland. Neben vielen regionalen Liefer- oder Abhol-Services mit eigenen Lieferfahrzeugen, sind auch Anbieter auf dem Markt zu finden, die Lebensmittel bundesweit vertreiben. Doch unabhängig davon ob sie ihre Wurzeln im stationären Einzelhandel haben oder alleine im Netz ihre Waren vertreiben, stehen sie vor fünf großen Herausforderungen. Nur Händler, die diesen mit guten Lösungen begegnen, haben eine Zukunft.
Herausforderung 1: Frische-Logistik und -Kommunikation
Bisher gibt es keinen Logistikdienstleister der eine Lebensmittel-Lieferung bundesweit abbilden kann, ohne dabei riesige Mengen Verpackungs- und Kühlmaterial zu verwenden, die der Kunde dann anschließend aufwändig entsorgen muss.
Im Bereich der Frischelogistik hat DHL als bisher einziger Anbieter einige gute Ansätze entwickelt, wie z.B. eine Mehrweg-Frische-Box, die der Paketbote nach der Zustellung der bestellten Ware beim Kunden wieder an sich nimmt. Die Samwer Brüder gehen mit Shopwings einen anderen Weg. Kunden können Privatpersonen buchen und sich von ihnen beliefern lassen. Das kann funktionieren, wenn sich auch außerhalb von Ballungsgebieten genügend Menschen dazu bereit erklären, Personal Shopper zu werden. Allerdings glänzt Shopwings aktuell weder mit ausreichender Produktvielfalt, noch mit Kooperationsvereinbarungen mit Supermärkten.
Eine weitere Herausforderung im Lebensmittelversand ist es, dem Kunden die Bedenken beim Online-Kauf von Lebensmitteln zu nehmen. Wie z.B. die Angst, dass die Ware nicht frisch ankommt oder die Bananen nicht den selbst bevorzugten Reifegrad besitzen. Hier müssen die Hürden fürs Ausprobieren gemindert werden: z.B. mit Slogans wie „We’re as picky as you are“, „Leave notes for your personal shopper “ oder „3+ Days for Fresh Food“ von Tesco.
Herausforderung 2: Den Wocheneinkauf online möglich machen
Es ist nach wie vor eine Seltenheit, dass Kunden ihren gesamten Wocheneinkauf online erledigen. Das soll sich ändern, denn die Lieferung von nur einem Kasten Wasser lohnt sich für die Händler praktisch nie. So arbeitet der englische Online-Supermarkt Ocado mit einem 20 Pfund Rabatt-Gutschein für den ersten Einkauf. Damit setzt sich der Kunde mit dem Shop auseinander und entdeckt, dass die Einkaufsliste der Vorwoche gespeichert wird oder komfortable Bestell-Rhythmen für bestimmte Produkte angegeben werden können. Was der Kunde immer wieder braucht, ist damit schnell bestellt.
Herausforderung 3: Margen & Abdeckung
Die Anzahl der Anbieter und die Nachfrage der Kunden steigen. Dennoch ist der deutsche Anteil am Lebensmittel-Gesamtumsatz im Vergleich zu England (mit Tesco und Ocado) oder der Schweiz (LeShop) noch gering.
Mögliche Gründe dafür sind zum einen, dass die Margen auf Lebensmittel in Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Staaten deutlich niedriger und die Kunden aufgrund der Discounteritis sehr preissensibel sind. Dies macht es für Händler schwer, das deutlich aufwändigere Versandgeschäft profitabel zu betreiben.
Zum anderen ist der deutsche Kunde, durch die hohe Dichte an Supermärkten jederzeit in der Lage, seine Einkäufe persönlich und ohne großen Zeitaufwand zu erledigen.
Die Gourmet- und Spezialanbieter haben hier also einen großen Vorteil: Ihre Ware kann der Kunde nicht im REWE um die Ecke kaufen, sondern müsste für diese oft mehrere Kilometer fahren. Er ist somit auch deutlich eher bereit für diesen Service zu zahlen und ein bis zwei Tage auf die Ware zu warten.
Herausforderung 4: Der Online-Kunde sucht nach Produkten, nicht nach Anbietern
Bei einem stationären Käufer folgt auf den Kaufimpuls die Entscheidung für einen oder mehrere Anbieter und erst dann die konkrete Produktauswahl. Dies ist auch auf den klassischen Wocheneinkauf anwendbar. Kunden wollen eine Tiefkühlpizza kaufen, gehen in ihr Lieblingsgeschäft und schauen sich dann an, was angeboten wird.
Anders ist das bei dem klassischen Online-Käufer. Er fällt nach dem Kaufimpuls zunächst die Entscheidung für ein ganz bestimmtes Produkt und wählt erst dann online einen passenden Anbieter aus. Dieser Anbieter ist im Vergleich zum Produkt oder zum Preis aber eher nachrangig. Deshalb entsprechen Spezial- und Gourmentangebote den Bedürfnissen und dem gelernten Verhalten des Online-Käufers mehr, als eine große Auswahl an bekannten Produkten des täglichen Bedarfs.
Die über Spezialsortimente generierten Käufe können dann aber in weiteren Schritten genutzt werden, um die gewonnenen Kunden mit gutem Bestandskundenmarketing zu weiteren Käufen anzuregen, auch für den täglichen Bedarf.
Herausforderung 5: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie bitte einen Anwalt oder Mitbewerber
Nicht nur in puncto Marge haben deutsche Anbieter es etwas schwerer als die Anbieter in England oder der Schweiz. Abmahnung gehören zum täglichen Geschäft und Händler haben sich fast damit abgefunden, ein Budget für fehlende Abtropfgewichte oder falsche Grundpreisangaben einzuplanen. Diese Lage droht mit der neuen Lebensmittel Informationsverordnung (LMIV) zu eskalieren. Sie tritt am 13. Dezember 2014 in Kraft und ist insbesondere für den Distanzhandel von Lebensmitteln eine echte Herausforderung, wenn nicht sogar ein Risiko.
Die LMIV wurde – sicherlich mit einer guten Intention – auf EU-Ebene verfasst, ist aber leider weitestgehend praxisfremd. So müssen Zutaten, Allergene und viele weitere Angaben ab diesem Tag im selben Trägermedium (hiermit ist Katalog, Telefon, Internet gemeint) verfügbar sein, über das der Kunde seine Bestellung abgeben möchte. Dies hört sich zunächst kundenfreundlich an, kehrt sich aber schnell ins Gegenteil um, wenn sich der Kunde mit einer Vielzahl von Zutaten und Nährwerten auseinander setzen muss, bevor er überhaupt eine Bestellung tätigen kann.
Auch für die Online-Händler wird es aus zwei Gründen brenzlig. Denn zum einen sind die Produkte teilweise noch nicht mit den benötigten Informationen versehen, was ein rechtzeitiges und vollständiges Vorhalten der Informationen zum Stichtag im Web fast unmöglich macht. Zum anderen muss der Online Händler immer die Angaben der aktuell angebotenen Charge abbilden. Ändert sich also bei einem Müsli der Zuckeranteil minimal, muss dies vom Händler zunächst bemerkt werden. Hierzu sind bisher keine Mechanismen und Prozesse zwischen Hersteller und Händler etabliert. Weiterhin dürfen auch nach einer Aktualisierung der Daten, nur noch solche Produkte verkauft und versendet werden, die mit den Online angegebenen Informationen übereinstimmen. Auch hierfür sieht der Handel bisher keine Mechanismen vor. Dem Verbraucher sind 0,1g Zucker weniger meist gleichgültig. Dem Abmahnanwalt aber leider nicht!
Fazit und Ausblick
Der Versand von Lebensmitteln wird ohne Frage zunehmen. Hier ist jedoch eine gute Kommunikation der Händler gefragt, denn viele Deutsche wissen heute noch nicht, dass sie ihren Wocheneinkauf online erledigen können. Für ein bundesweites Angebot des täglichen Bedarfs mangelt es zurzeit noch stark an der Logistik, gute Ansätze sind aber auf dem Weg.
Bis dahin - oder bis Amazon mit eigener Logistik einen ernsthaften Eintritt in den Lebensmittelmarkt wagt - werden die regionalen Liefer-Angebote, sowie bundesweite Spezial- und Gourmet-Angebote weiter zunehmen. Ob sich mittel- bis langfristig ein regionales Auslieferkonzept aus Märkten und Sattelitenlägern oder ein Zentrallager-Konzept durchsetzen wird, bleibt offen. Klar ist nur, wenn die von Ernst & Young für 2020 prognostizierten 10 Prozenz Online-Umsatzanteil bzw. knapp 20 Mrd. Euro pro Jahr für Lebensmittel tatsächlich Realität werden sollten, dann ist noch einiges zu tun, nicht nur für DHL.